Verschiedene Zeitschriften und Flyer liegen auf einer Bank.

Presse-
mitteilungen /

Pressemitteilungen /

Frühe Kindheit rückt in den Fokus /

Eine vollbesetzte, bestuhlte Turnhalle. Die Zuhörer:innen blicken auf eine Frau mittleren Alters, die einen Vortrag hält. Hinter ihr an der Wand ist eine PowerPoint-Präsentation zu sehen.

Chefärztin Dr. Sabine Müller hieß die rund 270 Teilnehmenden der 33. Jahrestagung der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie willkommen.

Immer mehr Kinder werden aufgrund von Verhaltensauffälligkeiten bereits aus der Kita ausgeschlossen. Sind sie „schlimmer“ geworden? Sind „die Medien" schuld daran? Sah man „früher“ nur nicht so genau hin? Die 33. Jahrestagung der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie des ZfP Südwürttemberg beschäftigte sich mit der frühkindlichen Entwicklung, mit den Bedürfnissen junger Kinder sowie Schutz- und Risikofaktoren und der damit verbundenen Frage, wie die Kliniken auf veränderte Bedarfe reagieren können.

„Früher sind die Kinder erst in der 1. oder 2. Klasse im Hilfesystem gelandet“, sagte Frank Happich bei der Begrüßung der rund 270 Tagungsteilnehmer:innen. Der pflegerisch-pädagogische Leiter der Weissenauer Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie umriss damit das Problemfeld, das sich den Behandelnden heute stellt: dass immer mehr Kinder in sehr jungen Jahren eine psychiatrische und/oder psychotherapeutische Behandlung benötigen. „Wird durch  Medienkonsum der Eltern die Bindungsfähigkeit beeinflusst? Wird herausforderndes Verhalten nicht mehr ausreichend aufgefangen? Und inwieweit gehen den Kindern gute Entwicklungsmöglichkeiten verloren?“, fragte Happich und sagte: „In jedem Fall müssen wir genauer hinschauen und uns darüber austauschen.“

Chefärztin Dr. Sabine Müller zeigte zum Einstieg einen Ausschnitt eines Beitrags des DDR-Fernsehens aus dem Jahr 1970. In der darin vorgestellten Kinderwochenkrippe sollten die Kinder vor allem zu Ordnung, Körperpflege und ausreichender Bewegung erzogen werden. „Der Grad der Erfüllung frühkindlicher Bedürfnisse ist vom Zeitgeist ebenso abhängig wie von der Region und der individuellen Situation der Familien“, führte Müller dazu aus. Risikofaktoren für psychische Erkrankungen seien etwa häusliche Gewalt, Missbrauchserfahrung, psychische oder Suchterkrankungen der Eltern und finanzielle Probleme. Müller betonte dabei die kumulative Wirkung belastender Kindheitserlebnisse und stellte fest: „Auch Überbehütung kann eine Art der Vernachlässigung sein durch Einschränkung einer normalen Entwicklung.“ Schützend dagegen wirke eine feinfühlige Bezugsperson, welche als sichere Basis zur Exploration als auch als sicherer Hafen nach einer Belastung dient. Aufgrund der zunehmend jünger werdenden Patient:innen werde in der Klinik für KJPP Weissenau derzeit die Einrichtung einer Frühkindlichen Sprechstunde vorbereitet.

Dr. Claus Rüdiger Haas, Ärztlicher Direktor der LWL-Klinik Marl-Sinsen, beschäftigte sich mit Diagnostik und Therapie psychischer Störungen im Vorschulalter und stellte die neuen AWMF-Leitlinien vor. Er ging auf Begrifflichkeiten wie Feinfühligkeit, Konsequenz, Empathie und Passung ein sowie auf die vier Bindungstypen. Seine Überzeugung: „Es gibt kulturelle Unterschiede im Bindungsverhalten, keine per se negativen Bindungstypen außer dem desorganisierten Bindungstyp D. Vielmehr kommt es darauf an, dass die Eltern einen Plan haben und diesbezüglich verlässlich sind.“

Prof. Dr. Jörg M. Fegert, Ärztlicher Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie des Universitätsklinikums Ulm, sprach über die Auswirkungen von Krisen auf die psychische Gesundheit und die psychosozialen Folgen der Corona-Pandemie. „Diese wirkte wie ein Brennglas und hat die Probleme vor allem bei vorbelasteten Kindern verstärkt. Es wurde vieles versäumt und man kann von einem weitreichenden Systemversagen sprechen.“ Der Klimawandel sowie Krieg, Flucht und Vertreibung stellten große Herausforderungen dar, welche „gar nicht weit weg sind“, und auch im Hinblick auf Wirtschaftskrisen und Naturkatastrophen müsse ein Umdenken im Versorgungssystem erfolgen: „Wir werden immer mehr zur Notfallmedizin. Wir müssen stattdessen Fehlentwicklungen frühzeitig erkennen und schneller darauf reagieren.“ Vor dem Hintergrund, dass psychische Erkrankungen zunehmen und drei Viertel der psychischen Erkrankungen vor dem 25. Lebensjahr erstmals auftreten, sagte er: „Wir brauchen eine Normenkontrolle bezüglich Kinder- und Familienrechten auf Bundesebene, so wie es sie für Gender- und Umweltfragen bereits gibt.“

Weitere Referentinnen und Referenten gingen auf unterschiedlichste Aspekte in der Versorgung von Vorschulkindern ein. Traumatherapeutin Katrin Boger stellte ihren Ansatz der Traumatherapie im frühen Kindesalter vor. Dr. Yonca Izat berichtete aus der entwicklungspsychologischen Beratung und Therapie. Dr. Anette Schneider stellte das Sozialpädiatrische Zentrum der St. Elisabeth Stiftung in Ravensburg vor und Sigrid Bohnet die Eltern-Kind-Station der Liebenau-Kliniken Meckenbeuren.




Unsere Publikationen /