Früher war er selbst Patient, heute hilft er anderen: Michael Blum ist Genesungsbegleiter und arbeitet im neuen Unterstützungszentrum des ZfP Südwürttemberg am Standort Zwiefalten.
„Ich war 15 Jahre schwerstabhängig von Alkohol und Drogen.“ Michael Blum spricht es ganz offen aus. Über seine Sucht und seine schweren Depressionen zu reden, fällt ihm heute nicht mehr schwer. Ganz im Gegenteil. Es gehört zu seinem Beruf, und wenn er anderen von sich erzählt, dann auch, um ihnen zu helfen. Der 55-Jährige ist Genesungsbegleiter, ein Jahr lang hat er sich über ein spezielles Kursangebot für seine Aufgabe qualifiziert: Drei Tage in der Woche arbeitet er nun im Team des Unterstützungszentrums mit. Er leitet die Laufgruppe, vor allem aber ist er als Gesprächspartner für die Klient:innen da. Das Unterstützungszentrum ist ein offenes Haus, in dem Menschen mit chronischen psychischen Erkrankungen, die in Wohngruppen oder alleine in einer Wohnung leben, eine Anlaufstelle finden. Sie kommen, weil sie Hilfe beim Ausfüllen eines Formulars brauchen - oder einfach, um mit jemanden zu reden, ein Spiel zu spielen, spazieren zu gehen.
Vom Ex-Patienten zum Psychiatrie-Mitarbeiter: Das ist kein einfacher Weg. Ihn zu gehen, setzt Stabilität voraus. Die hat sich Michael Blum nach seiner langen Krankheitsgeschichte erfolgreich erarbeitet. Vor drei Jahren kam er als Patient ins ZfP nach Zwiefalten. Damals hatte er schon einiges hinter sich, unter anderem eine Langzeit-Therapie Mitte der 1990er Jahre: „Seitdem bin ich trocken und clean.“ Ein Zurück auf den ersten Arbeitsmarkt gab es trotz Umschulung nicht: „Ich habe schon mein ganzes Leben lang mit Depressionen zu kämpfen.“ 2003 wurde er mit Anfang 30 frühberentet, zog sich sozial immer mehr zurück - und erkrankte im Jahr 2018 auch noch an Krebs: „Das war das letzte Quäntchen, das noch gefehlt hat, um wieder in eine tiefe Lebenskrise zu geraten“, sagt er. Blum bekam Antidepressiva, reagierte darauf aber nicht wie erhofft. Die Ängste und Panikattacken, unter denen er litt, wurden nicht weniger, sondern immer schlimmer. In der Klinik in Zwiefalten fand er langsam wieder heraus aus der Krise und Schritt für Schritt zurück in ein eigenständiges Leben - erst stationär, dann im betreuten Wohnen, schließlich in einer eigenen Wohnung.
Menschen mit der eigenen Erfahrung helfen
Zu seinem Neubeginn gehörte auch die Qualifikation zum Genesungsbegleiter: „Das war mein Ankerpunkt.“ An mehreren Wochenenden hat Michael Blum Kurse am Bodensee besucht. Auf seine Aufgabe ist er also gut vorbereitet. Eine einheitlich geregelte, staatlich anerkannte Ausbildung zum Genesungsbegleiter gibt es bisher aber nicht, wie Prof. Dr. Gerhard Längle betont. Dennoch: Der Regionaldirektor Alb-Neckar im ZfP gibt Menschen wie Michael Blum nicht nur gerne eine Chance, sondern gewährt ihnen auch Unterstützung in Form eines Stipendiums. „Leuten, die uns überzeugen, bezahlen wir die Ausbildungskosten. Im Gegenzug verpflichten sich die Absolvierenden, nachher für uns zu arbeiten.“
Michael Blum ist - wie alle Genesungsbegleitenden, von denen es in Zwiefalten inzwischen zwei gibt, - tariflich als Pflegehelfer eingruppiert. Vier weitere Interessierte sind derzeit in Ausbildung. Noch wichtiger als Geld ist fürs Selbstbewusstsein aber die Zugehörigkeit: Der Genesungsbegleiter ist reguläres Mitglied im multiprofessionellen Team des Unterstützungszentrums. Seine Kolleg:innen sind Sozialarbeitende, Mitarbeitende aus therapeutischen Berufsfeldern und Pflegefachleute. Und: „Er hat alle Rechte und Pflichten, inklusive Schweigepflicht“, betont Längle. Wenn sich jemand in seiner neuen Rolle bewährt, öffnet das unter Umständen weitere Perspektiven: „Eine Ausbildung im Pflegebereich oder sogar ein Duales Studium sind nicht ausgeschlossen.“
Davon, dass Genesungsbegleitende ein Gewinn sowohl für Patient:innen als auch für die Mitarbeitenden sind, ist Längle überzeugt. „Genesungsbegleiter haben einen anderen Blickwinkel und andere Zugangswege zu Patientinnen und Patienten. Für letztere ist es oft sehr wertvoll, mit jemandem zu sprechen, der selbst eine ähnliche Krise durchlebt und gemeistert hat“, sagt der Regionaldirektor. Dem Genesungsbegleiter selbst verlangt diese Rolle einiges ab: „Er muss einen guten Umgang mit seiner Krankheit gefunden haben, er braucht ein hohes Reflexionsvermögen und muss sehr stabil sein, um die Arbeit in der Psychiatrie und die Konfrontation mit Krankheit bei anderen aushalten zu können.“ Michael Blum hat das sowohl in seiner Therapie als auch in seiner Ausbildung gelernt: „Wenn ein Patient mit einer ähnlichen Diagnose kommt, ist das ein Trigger. Aber ich kenne mich inzwischen so gut, dass ich Frühwarnzeichen erkennen, darauf reagieren und im Extremfall auch mit Rückfällen umgehen kann.“