Alle 52 Minuten nimmt sich in Deutschland ein Mensch das Leben. Aufs Jahr gerechnet sind dies mehr als 10.000 Menschen - mehr Todesfälle als durch Aids, Drogen, Verkehrsunfälle, Mord und Totschlag zusammen. Die Initiatoren der Ausstellung „Gegen die Mauer des Schweigens“ wollen vermitteln, dass Suizid kein gesellschaftliches Randgruppenthema ist. Anlässlich der Eröffnung sprach Experte Prof. Dr. Manfred Wolfersdorf über Suizid und Prävention.
Prof. Dr. Manfred Wolfersdorf behandelt seit Jahrzehnten Depressionskranke und erforscht den Suizid. Bei der Eröffnung der Ausstellung, die das ZfP Südwürttemberg derzeit am Standort Bad Schussenried zeigt, referierte der Psychiater und Suizidforscher über die Formen von Suizidalität, Risikofaktoren sowie Präventionsmöglichkeiten. „Wichtig ist, dass wir den Suizid als das Ende eines Entwicklungsprozesses betrachten und begreifen, dass man in der Zeitspanne davor therapeutisch eingreifen kann“, erklärte Wolfersdorf den rund 100 interessierten Teilnehmenden.
Früher als Sünde betrachtet, gelte Suizidalität heute als Ausdruck psychischer Not und Hilfebedürftigkeit. Als Risikofaktoren nannte der Experte Erfahrung von Gewalt und Missbrauch, finanzielle Verluste, konflikthafte Beziehungen und - allen voran - psychische Erkrankungen. „Psychisch kranke, vor allem Menschen mit Depressionen und Suchterkrankungen sowie junge schizophreniekranke Männer zählen zur Hochrisikogruppe.“
Um aber überhaupt eingreifen zu können, sei es wichtig, Aussagen von Betroffenen immer ernst zu nehmen und möglichst direkt nachzufragen. „Es stimmt nicht, dass bellende Hunde nicht beißen“, warnte der Professor. „Äußerungen, das Leben sei nicht mehr lebenswert oder Todeswünsche sind Alarmzeichen. Wenn so etwas kommt, müssen Freunde, Familie und Behandelnde hinhören und nachfragen.“
Bei der Suizidprävention gehe es in erster Linie darum, den aktuellen Druck zu mindern und Zeit zu gewinnen – dabei sind schützende Rahmenbedingungen hilfreich. Weiterhin empfiehlt der Suizidforscher, die soziale Sinngebung des Lebens zu fördern und gemeinsam nach Hilfsmöglichkeiten für die belastende Situation zu suchen. „Menschen in suizidalen Krisen befinden sich oft in einem inneren emotionalen Chaos und können die Lösungsmöglichkeiten nicht mehr eigenständig erkennen“, so Wolfersdorf. Im Allgemeinen seien auch Präventionsprogramme an Schulen und Universitäten besonders wirksam – dies heben Forschungen inzwischen belegt.