Verschiedene Zeitschriften und Flyer liegen auf einer Bank.

Presse-
mitteilungen /

Pressemitteilungen /

Südwestdeutsche StäB-Tagung: Digitale Zukunft gestalten /

Ein Mann im Anzug mit Brille und Bart steht an einem Rednerpult und hält einen Vortrag.

Prof. Dr. Gerhard Längle begrüßte in Reutlingen rund 200 Gäste zur 6. Südwestdeutschen StäB-Tagung.

Im Rahmen der 6. Südwestdeutschen StäB-Tagung haben sich rund 200 Teilnehmende in Reutlingen über die aktuellen Entwicklungen in der stationsäquivalenten Behandlung ausgetauscht. Im Mittelpunkt stand das Thema Digitalisierung.

Die stationsäquivalente Behandlung, kurz StäB, bietet psychisch erkrankten Menschen die Möglichkeit, sich multiprofessionell im häuslichen Umfeld behandeln zu lassen. Dass eine umfassende psychiatrische Behandlung überhaupt im eigenen Zuhause durchgeführt werden kann, ist erst seit wenigen Jahren möglich. Im Jahr 2017 wurde ein entsprechendes Bundesgesetz verabschiedet, welches die Behandlung durch ein StäB-Team einem stationären Klinikaufenthalt gleichstellt. Seither bieten unter anderem das ZfP Südwürttemberg, die Klinik für Psychiatrie und Psychosomatik (PP.rt) Reutlingen und das ZfP Reichenau diese Behandlungsoption an.

Zum Austausch innerhalb des Netzwerks StäB-betreibender Kliniken sowie angeschlossener Kooperationspartner fand nun zum sechsten Mal die Südwestdeutsche StäB-Tagung statt. Rund 200 Teilnehmende waren aus ganz Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Rheinland-Pfalz angereist, um der Veranstaltung in Reutlingen beizuwohnen. Prof. Dr. Gerhard Längle, Geschäftsführer der PP.rt und Regionaldirektor Alb-Neckar im ZfP Südwürttemberg, begrüßte die Anwesenden mit einem kurzen Überblick über die aktuellen Entwicklungen. So liegt nach Auswertung einer bundesweiten Studie, welche die Eignung der StäB für unterschiedliche Zielgruppen, Versorgungssettings und Versorgungsregionen geprüft hat, ein erstes Fazit vor.

„StäB wurde in allen Kriterien als tatsächlich stationsäquivalent eingestuft, zum Teil sogar als der stationären Behandlung überlegen“, berichtete Längle. „Wir haben mit StäB eine höhere Zufriedenheit bei Patient:innen und Angehörigen, eine durchschnittlich längere Dauer bis zur Wiederaufnahme der Patient:innen ins Versorgungssystem sowie eine generell geringere Wiederaufnahmerate.“ Die Veranstalter der Tagung, ZfP und PP.rt, waren maßgeblich an der Durchführung der Studie beteiligt und sehen sich durch die Forschungsergebnisse in ihrem Engagement für diese besondere Behandlungsform mehr als bestätigt.

Chancen und Risiken der Digitalisierung
Das zentrale Thema der weiteren Fachvorträge am Vormittag war die fortschreitende Digitalisierung im Gesundheitswesen und die Chancen, die sich daraus für die StäB ergeben. Dr. Frank Schwärzler, Ärztlicher Direktor der PP.rt Reutlingen, stellte die E-Mental-Health-Optionen vor – dabei handelt es sich um Medien, die bei der Behandlung und Vorbeugung psychischer Erkrankungen künftig eine größere Rolle spielen können. „25 verschiedene digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) sowie Gesundheits- und Medizin-Apps (GuMA) sind bereits verfügbar“, führte Schwärzler aus. „Sie ermöglichen eine niederschwellige Interaktionsmöglichkeit und bieten sowohl Flexibilität als auch Behandlungskontinuität.“ Auch sogenannte Wearables wie Smartwatches sowie die Telemedizin böten zahlreiche Chancen bezüglich des Monitorings wie auch der Motivierung von Patient:innen mit starken Antriebsdefiziten.

Weitere Möglichkeiten sieht er im Einsatz von Virtueller Realität (VR) und Robotik: „In der Expositions- wie auch in der Suchttherapie können VR-Brillen ein entsprechendes Milieu simulieren.“ Eine robotergestützte Abstinenzkontrolle sei zum Beispiel denkbar, um Suchterkrankte im 100-Tage-Programm zu unterstützen. „All diese digitalen Tools können jedoch nur ergänzend zum therapeutischen Kontext Anwendung finden, nicht als Ersatz“, stellte Schwärzler klar: „Therapie ist und bleibt Beziehungsarbeit.“

Der Weg zur vollständigen Digitalisierung bietet noch einige Hürden, wie Angelika Gasser, Leiterin der IT-Abteilung im ZfP Südwürttemberg, verdeutlichte. Die Telematik-Infrastruktur in Deutschland sei noch nicht auf aufsuchende Behandlungen eingestellt und auch die Mobilfunkabdeckung gerade im ländlichen Raum sei noch immer nicht ausreichend, wodurch beispielsweise e-Rezepte in StäB derzeit noch nicht möglich seien. Mit der geplanten Pilotierung einer StäB-App stehen den behandelnden Teams jedoch künftig neue Möglichkeiten der Dokumentation zur Verfügung und auch die Bedarfsermittlung sowie die Planung der Einsätze soll so erleichtert werden.

Dass die Digitalisierung helfen kann, die Versorgungslage der Patient:innen zu verbessern und gleichzeitig das medizinische Fachpersonal zu entlasten, ist unstrittig. Dass diese Entwicklung umsichtig gestaltet werden muss, machte die Datenschutzbeauftragte im ZfP Südwürttemberg Andrea Sonntag deutlich: „Neue Technologien auf der Basis von Künstlicher Intelligenz haben längst Einzug gehalten und bieten auch in der Patientenversorgung großes Potenzial. Jedoch tragen wir im Umgang mit sensiblen Patientendaten eine besondere Verantwortung.“

Die nötige Transparenz in der Datenverarbeitung sei derzeit nicht grundlegend gegeben, weitere Hürden lägen in der Datenqualität der KI-gestützten Anwendungen, so Sonntag. „Eine KI erfindet eher etwas, als keine Daten zu liefern.“ Daher werde das Inkrafttreten der neuen EU-Verordnung zum Thema Künstliche Intelligenz mit Spannung erwartet. Diese soll eine Balance zwischen Innovation und Risikoschutz schaffen. „Wir brauchen die Entwicklung vertrauenswürdiger KI-Modelle“, so die Datenschutzbeauftragte abschließend.

Stationsäquivalente Behandlung bei Suchterkrankungen
Im letzten Vortrag am Vormittag ging Dr. Jamil El Kasmi, Chefarzt der Abteilung für Abhängigkeitserkrankungen der PP.rt, auf die Möglichkeiten der aufsuchenden Behandlung  bei Suchterkrankten ein. „Bei anderen psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder Psychosen ist StäB in Baden-Württemberg und Hessen mittlerweile beinahe flächendeckend etabliert. StäB-Teams im Bereich Sucht gibt es dahingegen kaum, dabei haben wir hier in Reutlingen sehr gute Erfahrungen damit gemacht.“ So seien Veränderungen im häuslichen Umfeld eine wichtige Voraussetzung für ein weiteres abstinentes Leben; die Forderung und Förderung von Eigenverantwortung gelinge eher in der eigenen Lebenswelt. „Immer wieder begegnen wir Suchterkrankten, denen ein Entzug im stationären Setting gelungen ist und die nach der Rückkehr in ein problembehaftetes Umfeld rückfällig wurden.“

Gemeinsam mit Michelle Müllner, Psychologische Psychotherapeutin an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Tübingen, ging El Kasmi im nachmittäglichen Workshop vertiefend auf die Möglichkeiten von StäB in der Behandlung suchterkrankter Menschen ein. Insgesamt neun Workshops zu unterschiedlichsten Aspekten von StäB boten den Teilnehmenden am Nachmittag ausreichend Zeit und Raum zu thematischer Vertiefung, Information und Diskussion.

Anschließend thematisierte der letzte Vortrag des Tages die Möglichkeiten und Formen von Gruppentherapien in StäB. Sporttherapeutin Edith Eberhardt und Oberarzt MUDr. Boris Kopeliovic vom ZfP Reichenau stellten ihre Erfahrungen mit dieser Therapieform vor und diskutierten gemeinsam mit Dr. Hubertus Friederich, Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychosomatik Alb-Neckar im ZfP Südwürttemberg, die Für und Wider analoger wie auch digitaler gruppentherapeutischer StäB-Angebote.




Unsere Publikationen /