Bei der 4. Südwestdeutschen StäB-Tagung haben sich rund 180 Teilnehmende über die neuesten Entwicklungen in der stationsäquivalenten Behandlung ausgetauscht. Pandemie-bedingt fand die vom Zentralbereich Pflege und Medizin des ZfP Südwürttemberg und der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik Reutlingen (PP.rt) gemeinsam ausgerichtete Fachtagung online statt.
Nachdem die eigentlich bereits vergangenes Jahr geplante vierte Auflage der Südwestdeutschen StäB-Tagung aufgrund der Coronavirus-Pandemie nicht stattfinden konnte, wurde diese nun am Dienstag, 4. Mai, im digitalen Format nachgeholt. Rund 180 Teilnehmende informierten sich über die aktuellen Entwicklungen im Bereich der stationsäquivalenten Behandlung. Auf der Grundlage von am Vormittag gehaltenen Fachvorträgen wurden am Nachmittag in vertiefenden Workshops störungs- und fachspezifische Aspekte weiter ausgeführt und gemeinsam diskutiert.
„Die stationsäquivalente Behandlung ist auf einem guten Weg“, attestierte Prof. Dr. Gerhard Längle zu Beginn der Online-Tagung. Der Leiter des Zentralbereichs Pflege und Medizin im ZfP Südwürttemberg und Geschäftsführer der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik Reutlingen (PP.rt) machte deutlich, dass das StäB-Angebot stetig weiter wächst, der Austausch im Rahmen der DGPPN-Arbeitsgruppe immer systematischer wird und die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem noch recht jungen Behandlungskonzept zunimmt.
Strukturelle und finanzielle Unterschiede
Unter anderem wurde das breit angelegte Forschungsprojekt AKtiV (Aufsuchende Krisenbehandlung mit teambasierter und integrierter Versorgung) auf den Weg gebracht, welches etwa die Behandlungsprozesse, die Wirksamkeit und die Akzeptanz von StäB untersucht. „In Baden-Württemberg haben wir inzwischen eine zuverlässige Landesplanung, in den sechs weiteren Bundesländern, in denen es StäB-Plätze gibt, ist das nicht immer so. Auch die Vergütung erfolgt noch nicht einheitlich“, erklärte Längle.
Im ZfP Südwürttemberg ist die stationsäquivalente Behandlung seit 2018 Teil des Behandlungsangebots. Sie ist Nachfolgerin des Konzepts BeZuHG (Behandelt zuhause gesund werden), welches beim überwiegenden Teil der Patientinnen und Patienten der Kinder- und Jugendpsychiatrie im Anschluss an eine StäB-Behandlung weiterhin ergänzend zum Tragen kommt. „Home Treatment praktizieren wir bereits seit 2011 und sowohl unsere Patienten als auch deren Eltern sind überwiegend sehr zufrieden damit“, erläuterte Prof. Dr. Isabel Böge. Die Ärztliche Leiterin der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters am ZfP-Standort Weissenau veranschaulichte die Unterschiede zwischen den beiden Formen des Home Treatment.
StäB bei Kindern und Jugendlichen
Bei ihrer Vorstellung der beiden Weissenauer StäB-Teams, eines ist für 5- bis 16-Jährige und eines für 17- bis 21-Jährige, schilderte Böge Abklärung und Verlauf der Behandlung, legte die Unterschiede zwischen den Angeboten dar und betonte, dass sich der Fokus dabei von jenem in der Erwachsenenpsychiatrie klar unterscheidet: „Während die Erziehungsberatung stets ein Thema im Bereich Kinder/Jugend darstellt, ist es bei der Adoleszenz hingegen die Individualisierung und die Ablösung von den Eltern. In beiden Fällen haben wir immer verantwortliche Angehörige.“ Und diese gelte es unbedingt miteinzubeziehen.
Die Wartezeit auf einen dieser StäB-Plätze beträgt vier bis sechs Wochen und dauert damit in etwa gleich lang wie die Behandlung selbst, die Nachsorge beanspruche weitere zwei bis drei Monate. Böge: „Momentan nehmen wir nur Patientinnen und Patienten auf, deren Zuhause binnen 30 Minuten Fahrtzeit zu erreichen ist.“
Chance und Herausforderung zugleich
Der anschließende Vortrag widmete sich den Senioren unter den Patient*innen: Der leitende Oberarzt Dr. Stefan Spannhorst vom Zentrum für Seelische Gesundheit des Klinikums Stuttgart in Bad Cannstatt berichtete gemeinsam mit Teamleiterin Tanja Szabo von den Erfahrungen mit dem Behandlungsmodell in der Gerontopsychiatrie, hier insbesondere im Heimbereich. Spannhorst: „Die aufsuchende Behandlung im Pflegeheim stellt eine sinnvolle, weil schonende Behandlungsform dar, da unter anderem die häufigen Ortswechsel durch Klinikbesuche entfallen. Dies senkt zum Beispiel das Delir-Risiko bei Menschen mit Demenz.“
Eine Herausforderung des Behandlungsmodells stellen aus Spannhorsts Sicht die in dieser Altersgruppe häufiger vorkommenden, somatischen Komplikationen im Rufdienst dar. Außerdem seien gerontopsychiatrisch und geriatrisch erfahrene Pflegekräfte sowie ein für StäB offenes Umfeld von Vorteil.
Sinnvolle Erweiterung des Behandlungsspektrums
Die Reihe der Vortragenden schloss Dr. Jamil El Kasmi ab, Chefarzt der Abteilung Abhängigkeitserkrankungen an der PP.rt. Er erläuterte die Rahmenbedingungen für die StäB von Abhängigkeitskranken und arbeitete deren Vorteile für die Suchttherapie heraus, welche sich stets im Spannungsfeld aus Kontrolle und Selbstverantwortung, also zwischen „gewährend“ und „beschützend“ bewege. El Kasmi: „Als Erweiterung des Behandlungsspektrums kann StäB beispielsweise die Eigenverantwortung fördern, direkte Veränderungen des Lebensumfelds der Patienten bewirken und die bessere Einbindung von Angehörigen ermöglichen.“ Außerdem sei unter Umständen ein konstruktiverer Umgang mit dem Symptom „Rückfall“ möglich als dies im stationären Bereich der Fall ist.
INFO: StäB steht für stationsäquivalente Behandlung. Die psychiatrische Diagnostik und Therapie erfolgt dabei im häuslichen Umfeld durch mobile fachärztlich geleitete multiprofessionelle Behandlungsteams und entspricht bezüglich Inhalten, Flexibilität und Komplexität einer vollstationären Behandlung. Parallel zur 4. Südwestdeutschen StäB-Tagung fand, ebenfalls online, die nordostdeutsche Ausgabe mit ähnlichen Schwerpunkten statt, welche vom Vivantes Klinikum Neukölln in Berlin veranstaltet wurde.