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Gewalt in der Psychiatrie – Belastungen und Umgangsstrategien im Fokus /

In einem großen Saal sitzen viele Menschen nebeneinander auf Stühlen und blicken konzentriert zur Bühne, auf der vier Frauen nebeneinander sitzen und vortragen.

230 Teilnehmende setzten sich bei der 34. Ethiktagung mit den emotionalen Belastungen und Herausforderungen im Psychiatrischen Alltag auseinander.

Am Welttag für Seelische Gesundheit kamen in Reutlingen rund 230 Teilnehmende zur 34. Psychiatrischen Ethiktagung zusammen, um über die drängenden ethischen Fragen der psychiatrischen Versorgung zu diskutieren. 

Die jährliche Veranstaltung, ausgerichtet vom ZfP Südwürttemberg und der PP.rt, widmet sich kontroversen Themen, die sowohl für Mitarbeitende als auch Patient:innen von zentraler Bedeutung sind. In diesem Jahr stand die Tagung unter dem Zeichen der emotionalen Belastungen und Herausforderungen, die der psychiatrische Alltag mit sich bringt.

Hohe Relevanz für Mitarbeitende und Patient:innen

„Es freut mich sehr, dass wir heute so viele kompetente Referenten gewinnen konnten, um über dieses wichtige Thema zu sprechen“ eröffnete Prof. Dr. Gerhard Längle, Regionaldirektor im ZfP Südwürttemberg und Geschäftsführer der PP.rt, die Tagung. „Die emotionale Belastung durch herausforderndes Verhalten ist nicht nur für Mitarbeitende, sondern auch für Mitpatient:innen eine schwierige Situation. Solche Ereignisse bringen oft alle Beteiligten an ihre Grenzen.“ Er betonte, dass es zwar Ausnahmesituationen seien, doch müssten juristische und strafrechtliche Aspekte ebenfalls bedacht werden. „Die heutige Tagung bietet Raum für Erfahrungsaustausch, gemeinsames Nachdenken und vor allem für gegenseitiges Verständnis“ so Längle.

Ein eindrucksvolles Beispiel dafür bot der kreative Einstieg durch zwei Theatertherapeutinnen, die in mehreren Darstellungen und untermalt von Rhythmen verdeutlichten, wie sich Übergriffe auf Mitarbeitende und Patienten auswirken können. Die gezeigten Szenen machten die Bedrohlichkeit und Machtlosigkeit in solchen Momenten für alle Anwesenden greifbar.

Rechtliche Rahmenbedingungen und Schutz für Psychiatrie-Mitarbeitende

Ein zentrales Thema der Tagung war der rechtliche Umgang mit Übergriffen in der Psychiatrie. In einem Dialog zwischen Oberstaatsanwalt Markus Wagner und Dr. Hubertus Friederich, Ärztlicher Direktor der Zwiefalter Klinik, wurden die rechtlichen Rahmenbedingungen beleuchtet. Friederich brachte dabei seine Bedenken zum Ausdruck: „Tätliche Angriffe auf Rettungskräfte werden inzwischen gesondert unter Strafe gestellt, doch das gilt nicht für Mitarbeitende in der Psychiatrie. Warum ist das so?“ Er kritisierte, dass Psychiatrieschaffende oft nicht ausreichend geschützt seien. „Übergriffe auf unser Personal werden weniger konsequent geahndet, und das muss sich ändern. Es darf nicht sein, dass solche Vorfälle im psychiatrischen Kontext anders bewertet werden.“ Oberstaatsanwalt Markus Wagner gab ihm in Teilen Recht und thematisierte anschließend die Herausforderungen im Zusammenhang mit der Schuldunfähigkeit. „In vielen Fällen bleibt als letzte Konsequenz nur die Unterbringung in einer forensischen Einrichtung“ erklärte Wagner. Dennoch sei es wichtig, Straftaten konsequent anzuzeigen, um auch im psychiatrischen Bereich ein klares Signal zu setzen.

Besorgniserregende Zunahme von Übergriffen

Dass die Anzahl der Übergriffe nicht nur subjektiv, sondern auch objektiv zunimmt, belegte Eva Schott, Leiterin der Unternehmensentwicklung des ZfP Südwürttemberg, mit Zahlen. „Unsere Mitarbeitendenbefragung hat gezeigt, dass sich 31 Prozent der Mitarbeitenden in patientennahen Bereichen körperlich unsicher fühlen.“ Besonders besorgniserregend sei, dass eine überdurchschnittlich hohe Zahl von Mitarbeitenden aufgrund von Konflikten mit Patienten in Erwägung zieht, den Arbeitsplatz zu wechseln.

Claudia Röhm, selbst ehemalige Patientin und nun Genesungsbegleiterin in der Klinik, berichtete aus ihrer Dreifachperspektive: „Ich habe in Krisensituationen selbst überreagiert, Gewalt von Mitpatienten erlebt und stehe nun vor den Herausforderungen als Genesungsbegleiterin.“ Sie forderte mehr Handlungsspielraum für das Personal, um eskalierende Konflikte frühzeitig zu deeskalieren. „Vieles könnte durch Gespräche und gegenseitiges Verständnis gelöst werden, doch es braucht mehr Ressourcen.“

Sicherheitsdienste als Unterstützung im therapeutischen Kontext

Eine kontrovers diskutierte Lösung im Umgang mit Übergriffen ist der Einsatz von Sicherheitskräften. Dr. Stephan Schieting, Ärztlicher Direktor des ZfP Emmendingen, berichtete über positive Erfahrungen in seiner Klinik. „Die Befürchtung, dass Sicherheitskräfte das therapeutische Milieu stören, hat sich nicht bewahrheitet. Im Gegenteil, ihre Anwesenheit in kritischen Situationen wirkt deeskalierend und hat zu einem deutlichen Rückgang der Übergriffe geführt.“  Simone Heinkele, die früher selbst für einen Sicherheitsdienst gearbeitet hat und nun im Sozialdienst der PP.rt tätig ist, fügte hinzu: „Beziehungsarbeit ist entscheidend, sowohl im therapeutischen Kontext als auch bei öffentlichen Veranstaltungen. Ein gutes Miteinander zwischen Sicherheitskräften und dem Personal fördert die Sicherheit und schafft Vertrauen.“

Fachlicher Austausch in Workshops

Am Nachmittag ging die Tagung mit vier thematischen Workshops in die nächste Runde, bei denen die Teilnehmenden die Gelegenheit hatten, einzelne Aspekte des Tagungsthemas zu vertiefen. In kleineren Gruppen wurden persönliche Erfahrungen ausgetauscht und praxisnahe Lösungsansätze diskutiert. Im Fokus standen die (Un)sicherheit von Mitarbeitenden in psychiatrischen Institutionen, die besonderen Herausforderungen im Maßregelvollzug, Perspektiven aus der Sicht von Betroffenen sowie rechtliche Schutzmechanismen und die Strafverfolgung.

Die Teilnehmenden nutzten den Raum, um konkrete Fälle zu besprechen und gemeinsam Strategien zur Abwendung von Folgeschäden zu erarbeiten. Besonders wertvoll war der Einblick in die verschiedenen Perspektiven: Mitarbeitende, Betroffene und rechtliche Expert:innen diskutierten gemeinsam, wie ein respektvoller und sicherer Umgang im psychiatrischen Alltag besser gelingen kann. Die offene Atmosphäre der Workshops ermöglichte einen intensiven Austausch und bot viele neue Impulse für den beruflichen Alltag der Anwesenden. 




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