Mit der stationsäquivalenten Behandlung, kurz StäB, bietet das ZfP Südwürttemberg die Möglichkeit für psychisch Erkrankte, sich im häuslichen Umfeld umfassend behandeln zu lassen. Das Bad Schussenrieder Team feiert nun sein 5-jähriges Bestehen.
Eisig kalt ist es an diesem Februarmorgen, als Simone Ahrens und Dr. Rebecca Kressierer sich für den ersten Hausbesuch des Tages auf den Weg machen. Doch zuerst einmal steht Eiskratzen beim Einsatzfahrzeug an - einem kleinen weißen Fiat ohne Beschriftung oder besondere Kennzeichnung. „Damit sind wir inkognito unterwegs“, lacht Ahrens, die pflegerische Leiterin des Teams. „Den meisten unserer Patienten ist es ganz recht, wenn nicht die ganze Nachbarschaft sieht, dass gerade ein psychiatrisches Behandlungsteam zu Besuch ist.“ Dass eine umfassende psychiatrische Betreuung überhaupt im eigenen Zuhause durchgeführt werden kann, ist erst seit wenigen Jahren möglich. Im Jahr 2017 wurde ein entsprechendes Bundesgesetz verabschiedet, welches StäB - die stations-äquivalente Behandlung – einer stationären Therapie gleichstellt. Das ZfP Südwürttemberg nimmt seither bundesweit eine Vorreiterrolle ein und bietet mit StäB eine individuelle Behandlungsmöglichkeit für psychisch kranke Menschen. Dabei kommen die multiprofessionellen Teams direkt ins Haus und das jeden Tag, auch am Wochenende und an Feiertagen.
Multiprofessionell unterwegs
„Unser StäB-Team ist in wechselnder Besetzung immer in Einsatz“, erzählt Ahrens, während sie den Wagen über die Landstraße lenkt. „Eine examinierte Pflegefachkraft ist täglich vor Ort, zusätzlich je nach Indikation ein Spezialtherapeut.“ Zum Team gehören neben den Pflegefachkräften auch Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychotherapeuten, Mitarbeitende aus dem Sozialdienst sowie Physio-, Ergo- und Kunsttherapeuten. Heute ist es die Ärztliche Leiterin Dr. Kressierer, die mit im Wagen sitzt. „Genau wie bei der Behandlung in einer Klinik finden wöchentliche ärztliche Visiten statt, so können der Therapiefortschritt nachvollzogen, Therapieziele überprüft und neu vereinbart und gegebenenfalls somatische Begleiterkrankungen mitbehandelt werden.“
Nach knapp 20 Minuten ist die Fahrt zu Ende und der Wagen hält vor einem gepflegten Einfamilienhaus in einer ruhigen Wohngegend. Die Patientin, die hier wohnt, wird seit rund drei Wochen vom StäB-Team betreut. Nach einer schweren körperlichen Erkrankung beherrschen Sorgen und Ängste ihren Alltag, der Weg zurück ins Leben scheint unerreichbar. Eine zusätzliche chronische Erkrankung und die Angst vor einer möglichen Trennung von der Familie sowie medizinischen Behandlungen im Allgemeinen machen einen Aufenthalt in einem psychiatrischen Krankenhaus undenkbar. „Hier kann ich meinem normalen Alltag weiterleben“, erzählt sie zunächst stockend. „Meine Kinder und die Enkel kommen ins Haus, alles geht seinen normalen Gang.“ Ein ganz wichtiger Punkt, findet auch Ahrens: „Mütter mit kleinen Kindern oder Alleinerziehende können auch nicht ohne weiteres von zuhause weg. Auf Krisensituationen und Probleme, die sich im Lebensumfeld ergeben, kann direkt vor Ort und mit unserer Unterstützung eingegangen werden. Ziel ist, die Lebensqualität während der Behandlung zu erhalten und so weit wie möglich zu erhöhen.
Der Alltag geht weiter
Rund eine Stunde dauert der vormittägliche Besuch. Auf dem Programm steht heute die Vermittlung von Bewältigungsstrategien. Was kann ich tun, um aus der negativen Gedankenspirale wieder raus zu kommen? Welche Methoden kann ich anwenden, um den Fokus auf die guten Seiten des Lebens zu lenken? „Wir bieten Beratung und Begleitung, zum Beispiel in Form von Kompetenztraining, Psychoedukation - also Aufklärungsarbeit, Expositionstraining, Vermittlung von Tagesstruktur und Entspannungsverfahren“, so Kressierer. „Diese Tipps helfen mir, auch wenn ich sie nicht immer hören will“, gibt die Patientin schmunzelnd zu. „Genau wie die Entspannungsübungen, die Massagen oder die Akupunktur, die ich schon bekommen habe. Durch die täglichen Besuche lernt man sich besser kennen. Das StäB-Team erlebt mich in meinem Umfeld und bekommt so viel schneller mit, wo der Schuh wirklich drückt.“ Zusätzlich zu den Hausbesuchen am Vormittag wird nachmittags noch einmal telefoniert. In Krisenfällen ist das Team immer telefonisch erreichbar, auch nachts steht eine Rufbereitschaft zur Verfügung. „Die hören dann schon an meiner Stimme wie es mir geht und fragen, was Sie noch für mich tun können. Für mich ist die StäB-Behandlung wirklich ein Rundum-Sorglos-Paket.“
Das Team von Ahrens und Kressierer ist seit fünf Jahren im Landkreis Biberach im Einsatz und behandelt Erwachsene mit allen psychischen Erkrankungen. „Immer wieder hören wir von unseren Patienten, dass sie ihre Probleme erst lange mit sich selbst ausgemacht haben, bevor sie sich Unterstützung gesucht haben“, berichtet Ahrens. „Wer unsere Hilfe braucht, kann sich an seine hausärztliche Praxis beziehungsweise ambulante Behandler wenden oder uns direkt kontaktieren.“ Eine StäB kann immer dann in Anspruch genommen werden, wenn eine stationäre Behandlungsbedürftigkeit festgestellt wurde. Die Kosten dafür werden von den Krankenkassen getragen.
i: StäB-Teams sind mittlerweile an allen Standorten des ZfP Südwürttemberg etabliert. Das Team von Simone Ahrens und Dr. Rebecca Kressierer ist täglich ab 13.30 Uhr telefonisch unter 07583 33-1503 erreichbar. Zusätzlich gibt es seit drei Jahren Team in Bad Schussenried ein weiteres StäB-Team für alterspsychiatrische Patienten ab 65 Jahren.