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„Einer, der nach vorne denkt“ – Abschiedssymposium Prof. Dr. Tilman Steinert /

Ein Mann mit Mikrofon in der Hand steht vor einem Menschen in einem Hörsaal.

Prof. Dr. Tilman Steinert begrüßte die Teilnehmenden zu seinem Abschiedssymposium „Die Zutaten für eine gute Psychiatrie in zehn Jahren“.

Mit einem feierlichen Symposium verabschiedete sich Prof. Dr. Tilman Steinert nach 40 Jahren in den Ruhestand. Kollegen und Wegbegleiter gaben dabei Ausblicke auf die Entwicklung der Psychiatrie in den nächsten Jahren.

Im übervollen Hörsaal des Klosters Weissenau wurde mit einem Abschiedssymposium der Abschluss einer beeindruckenden beruflichen Laufbahn gewürdigt. Nach 40 Jahren im ZfP Südwürttemberg verabschiedete sich Prof. Dr. Tilmann Steinert, Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie und Leiter des Zentralbereichs Forschung und Lehre, in den Ruhestand. Zu seinen Ehren referierten verschiedene Größen aus dem Bereich Psychiatrie und Psychotherapie über „Die Zutaten für eine gute Psychiatrie in zehn Jahren“. Dafür hatte Steinert ganz besonders hochkarätige Referent:innen ausgewählt: „Alle diese Menschen sind persönlich wichtig für mich. Es sind langjährige Wegbegleiter, Kollegen, Freunde – und es sind allesamt ausgewiesene Experten ihres Fachs.“ 

Den Anfang machte Dr. Sylvia Claus, Ärztliche Direktorin des Pfalzklinikums Klingenmünster und Vorsitzende der Bundesdirektorenkonferenz. Sie zeigte in ihrem Vortrag die Tiefenströmungen des Wandels auf, die einen nachhaltigen Einfluss auf die künftige psychiatrische Versorgung haben werden. Neben der demografischen Alterung seien das der zunehmende Fachkräftemangel und eine Verlagerung der Behandlung vom klinischen in den ambulanten und häuslichen Rahmen, so Claus. „Die Flexibilisierung unserer Behandlungsangebote unter Berücksichtigung der tatsächlichen Bedarfe wird eine unserer großen Aufgaben in den kommenden Jahren.“ Ein seit 2020 am Pfalzklinikum laufender Modellversuch belegt die Machbarkeit. Rund 15.000 Patient:innen mit schweren psychischen Erkrankungen werden hier seither mit einem festen Budget sektorenübergreifend behandelt. Neue Behandlungsmodule dabei sind beispielsweise Clearing- und Netzwerkgespräche, eine ambulante intensive Krisenbehandlung (AIK) sowie der Ausbau der gemeindepsychiatrischen Versorgung (Assertive Community Treatment/ACT). „Seither sinkt die stationäre Verweildauer und die Patienten erhalten eine bessere, passgenauere Behandlung ohne Mehrkosten“, fasste Claus zusammen. 

Im zweiten Vortrag stellte Prof. Dr. Thomas Pollmächer seine Zutat für die Psychiatrie der Zukunft vor. Für den Direktor des Zentrums für psychische Gesundheit am Klinikum Ingolstadt ist es der Psychiater, der im Vergleich zu anderen Fachbereichen der Medizin bereits jetzt unterrepräsentiert sei. „Bei der Inanspruchnahme des psychiatrischen Versorgungssystems verzeichnen wir eine immense Zunahme“, führte Pollmächer aus. „Der gleichzeitige Blick auf die Altersstruktur der Fachärzte für Psychiatrie ist besorgniserregend, sodass der Psychiater der Zukunft eine seltene und wertvolle Ressource sein wird.“ In der Folge sei eine Verschärfung des Mangels in weniger attraktiven Einsatzgebieten absehbar, so Pollmächer weiter. Seine Vision: Eine gestufte Versorgung, die Abgabe patientenferner Tätigkeiten und psychosoziale Mediziner als Generalisten, welche die wohnortnahe Versorgung übernehmen. „Wünschenswert wäre die Schaffung eines Arztes für psychische Gesundheit mit medizinischen und psychotherapeutischen Basiskompetenzen“, beendete der Psychiater seinen Ausblick. 

Im Anschluss wurde es mit Prof. Dr. Andreas Fallgatter deutlich universitärer. Der Ärztliche Direktor der Tübinger Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie nahm die Zuhörer mit auf einen Streifzug durch den aktuellen Forschungsstandards und stellte verschiedene Studien zur Wirksamkeit nicht-invasiver Neurostimulation vor. Neben der sogenannten transkraniellen Magnetstimulation (TMS) wurde dabei auch die transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS) näher beleuchtet. „Die Verträglichkeit und Wirksamkeit bei pharmakologisch therapieresistenten Depressionen ist durch mehrere Studien belegt“, erklärte Fallgatter. „Bei der Depressionsbehandlung mit tDCS wird ein schwacher, konstanter Gleichstrom eingesetzt, der die Gehirnaktivität im sogenannten Frontallappen gezielt beeinflusst und so die Symptome einer schweren Depression lindern kann.“ 

Nach einer kurzen Pause, die die rund 100 Teilnehmenden des Symposiums zum Austausch nutzen, ging es weiter mit etwas Theoriebildung. „Recovery – Zutat oder Patentrezept“ lautete der Titel des Vortrags von Dr. Ralf-Peter Gebhardt, der als Spitaldirektor der Psychiatrischen Dienste in Thurgau tätig ist. Beim Recovery-Modell steht der ganzheitliche und positive Blick auf psychische Erkrankungen im Mittelpunkt, der das Genesungspotential der Betroffenen hervorhebt und unterstützt. Gebhardt zeigte den Zuhörern die Chancen wie auch die Probleme auf, die sich aus diesem Ansatz ergeben und resümierte: „Eine gesunde Recovery-Haltung verändert die Arbeit der Fachpersonen in den psychiatrischen Institutionen und kann neue Wege des Dialogs und der Genesung eröffnen.“ Recovery sei damit mehr als nur eine Zutat, sondern unerlässlich für eine gute Psychiatrie in zehn Jahren. 

Den Abschluss der Veranstaltung bildete der Vortrag von Prof. Dr. Iris Tatjana Graef-Callies, die als neue Ärztliche Direktorin und Leiterin des Zentralbereichs Forschung und Lehre bereits Steinerts Nachfolge angetreten hat. Als eine der führenden Expertinnen im Bereich Migration und transkulturelle Psychiatrie referierte Graef-Callies über die Herausforderungen in der psychiatrischen Versorgung im Kontext zukünftiger Flucht- und Migrationsbewegungen. „Der Prozess der kulturellen Anpassung geht auch bei psychisch gesunden Menschen mit einer seelischen Belastung einher“, führte die Expertin aus. „Diese erhöhte Vulnerabilität steht einem erschwerten Zugang zu adäquaten Behandlungsmöglichkeiten gegenüber.“ So sei es eine wachsende Aufgabe, kultursensibel zu behandeln, sozio-kulturelle Unterschiede bei der Therapie zu berücksichtigen und eine Rassismus-kritische Perspektive einzunehmen. Graef-Calliess betonte abschließend: „Psychische Gesundheit ist eine essentielle Voraussetzung für einen gelingende Integration.“

Das Abschiedssymposium war nicht nur eine fachliche Bereicherung, sondern auch ein würdevoller Abschied für einen geschätzten Kollegen. Die offiziellen Feierlichkeiten zur Verabschiedung fanden am folgenden Tag im Bibliothekssaal des Klosters Weissenau statt.




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