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Ein neues Zuhause geben: Begleitetes Wohnen in Familien /

Sandra Kuhl (links), vom Ravensburger Verein Arkade e.V., begleitet und unterstützt Menschen wie Christoph Wieland und Helga Grell, die sich über das Begleitete Wohnen in Familien (BWF) gefunden haben.

Begleitetes Wohnen in Familien verbindet psychisch erkrankte Menschen mit Gastfamilien und schafft so neue Perspektiven. Für viele Betroffene bietet das eine einmalige Chance auf mehr Teilhabe und Normalität im Alltag.

Christoph Wieland mag Kuchen. Das Caféhaus in der Bad Schussenrieder Innenstadt ist daher eine beliebte Anlaufstelle für ihn. Wann immer es passt, plant Helga Grell dort einen Zwischenstopp ein, manchmal für sie beide, manchmal sitzt Wieland auch alleine dort und überbrückt die Zeit bis zum nächsten Termin. Seit fast sechs Jahren gehört er nun schon zum Haushalt der Familie Grell in Wolfegg und bewohnt eine Einliegerwohnung im Erdgeschoss. „Früher hatten wir diese Wohnung ganz normal vermietet“, erzählt Gastmutter Grell. „Bekannte erzählten uns dann von dem Verein, der Begleitetes Wohnen in Familien vermittelt. Ich hielt es von Anfang an für eine gute Idee, den Wohnraum jemandem mit einer psychischen Erkrankung zu überlassen und so kam Christoph zu uns.“

Für den mittlerweile 63-Jährigen war der Leerstand im Hause Grell ein glücklicher Zufall. Nach seinem Physik-Studium in Stuttgart kehrte der eher introvertierte Wieland zurück ins elterliche Zuhause, lebte dort zurückgezogen. Im Alter von 25 Jahren wird bei ihm eine Schizophrenie diagnostiziert. Jahre später dann der nächste Schicksalsschlag in Form einer Krebserkrankung. Nach dem Tod seiner Mutter wohnte er zunächst allein in Ravensburg, bis der ambulant betreuende Sozialdienst eine Alternative vorschlug. „Ich hab sofort an Familie Grell gedacht“, erinnert sich Sandra Kuhl, die beim Ravensburger Verein Arkade e.V. für das Begleitete Wohnen in Familien zuständig ist. „Herr Wieland ist eher ruhig und sehr zurückhaltend. Eine eigene kleine Wohnung, aber mit Familienschluss – das ist perfekt für ihn.“

Teilhabe statt Isolation

Das Konzept Begleitetes Wohnen in Familien (BWF) basiert auf dem Gedanken, psychisch oder dementiell Erkrankten, aber auch Menschen mit einer Suchterkrankung, durch die Anbindung an eine Familie neue Perspektiven zu geben. Sie erleben Nähe, Struktur, Alltag und stabile Beziehungen – Aspekte, die bei allein Lebenden mit derartigen Erkrankungen oftmals verlorengegangen sind. Für Wieland ist das Familienleben im Hause Grell ein Schritt in Richtung gesellschaftlicher Teilhabe. „Es ist eine Anti-Vereinsamungsprophylaxe“, fasst es die Gastmutter lachend zusammen. „Aber auch für uns als Familie ist es schön, wenn immer jemand da ist. Das Zusammenleben mit Christoph ist eine echte Win-Win-Situation.“

Berührungsängste mit psychischen Erkrankungen gab es für die 49-jährige von Anfang an nicht. Die examinierte Pflegekraft arbeitet im ZfP Südwürttemberg als Koordinatorin für Aromapflege und Wundmanagement, ist daher sowohl mit körperlichen wie auch mit seelischen Erkrankungen vertraut. „Natürlich ist es ein Plus, wenn in der Gastfamilie jemand aus der Pflege kommt und auch noch Know-How aus der Psychiatrie mitbringt, aber das ist keine Voraussetzung“, erklärt Kuhl. „Viel wichtiger ist, dass Leute gut zueinander passen.“ Dafür prüft der Verein ganz genau, wer für das BWF in Frage kommt und legt großen Wert auf eine passgenaue Vermittlung. „Wenn alles stimmt, organisieren wir ein Probewohnen für drei bis fünf Tage. Während dieser Zeit sind wir jederzeit telefonisch erreichbar. Wenn sich niemand bei uns meldet, ist das in der Regel ein gutes Zeichen.“

Fachdienst steht unterstützend zur Seite

Bei Familie Grell und Christoph Wieland hat die Chemie von Anfang an gestimmt. Die Sympathie wird besonders deutlich, wenn Grell über ihren Gast spricht: „Christoph gehört einfach dazu. Egal, um was es geht, er wird mit einbezogen.“ Das Modell funktioniert, darüber ist man sich einig. Wieland nickt zustimmend und lächelt schüchtern. Neben den Alltagsaktivitäten stehen auch immer wieder gemeinsame Ausflüge und Termine auf dem Programm. Arztbesuche müssen koordiniert und begleitet werden. Wieland hat Pflegegrad 2 und benötigt Unterstützung. „Der individuelle Bedarf wird von der Arkade gleich zu Beginn abgeklärt“, so Kuhl, die seit zehn Jahren Gastfamilien im Landkreis Ravensburg und im Bodenseekreis betreut. „Wir unterstützen bei allen auftretenden Fragen und Problemen, bieten eine intensive Begleitung in Krisenzeiten und geben Hilfestellung bei administrativen Aufgaben.“ 

Der Ravensburger Verein, der eng mit dem ZfP Südwürttemberg vernetzt ist und bietet seit vielen Jahrzehnten verschiedenste Unterstützungsangebote im Bereich Gemeindepsychiatrie und Jugendhilfe. Ebenso wie bela e. V. im Landkreis Biberach stellt der Verein damit eine wichtige Ergänzung des außerklinischen Angebots des ZfP dar. Aktuell sind es rund 80 Familien, Paare oder Einzelpersonen, die über die Arkade im Rahmen des BWF vermittelt wurden und einen Hausgast mit einer psychischen Erkrankung bei sich aufgenommen haben. Rund 1.200 € erhalten diese Gastfamilien pro Monat als Aufwandsentschädigung für ihr Ehrenamt, zusammengesetzt aus einer Betreuungspauschale und den Kosten für Unterkunft und Verpflegung. Zudem werden den Gastfamilien pro Jahr 28 betreuungsfreie Tage eingeräumt. Für diese Zeit organisiert der Fachdienst eine alternative Unterbringung.

Gekommen, um zu bleiben

Das Ziel bei der Vermittlung psychisch erkrankter Menschen ist unterschiedlich - mal geht es um eine begleitete Rückführung in die Selbstständigkeit und damit in die eigenen vier Wände, mal kann mit einem langfristigen Zusammenleben ein Heimaufenthalt vermieden oder hinausgezögert werden. Für Wieland selbst bedeutete der Einzug bei Familie Grell eine Chance auf mehr Normalität und Integration ins Gemeinwesen. „Christoph ist aktiver, offener und selbstständiger geworden“, so Grell abschließend über ihren Hausgast. Anschluss hat er mittlerweile nicht nur innerhalb der Familie gefunden, sondern auch bei Seniorennachmittagen oder den regelmäßigen Nachbarschaftstreffen. „Und wenn etwas Zeit ist, gehen wir zusammen Kuchen essen.“

i: Familien, Lebensgemeinschaften und Einzelpersonen aus dem Landkreis Ravensburg oder dem Bodenseekreis, die sich vorstellen können, einen psychisch erkrankten Menschen bei sich aufzunehmen, können sich bei der Arkade e.V. informieren. Ansprechpartnerin Sandra Kuhl ist telefonisch unter 0751/3665580 erreichbar. 
E-Mail: info@arkade-bwf.de oder im Internet: www.arkade-ev.de

Im Landkreis Biberach wird das Begleitete Wohnen in Familien von bela e.V. gGmbH angeboten. Ansprechpartnerin Simone Kulmbach ist telefonisch unter 07351/37418-33 erreichbar.
E-Mail: bwf@bela-ggmbh.de oder im Internet: www.bela-ggmbh.de




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